16.03.2014 Bücher sind Schilde

Polizeikessel - Verwaltungsgericht FFM folgt blind und einseitig den polizeilichen Darstellungen

Das Grundrechtekomitee weist auf die einseitige Sicht des VG Frankfurt/Main bei der Beurteilung des Polizeikessels bei den Demos im letzte Jahr hin.

Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt hat am 10.3.2014 „nur“ über eine Prozesskostenhilfe bezüglich einer Klage gegen die Einkesselung eines Teils der Demonstration von Blockupy am 1.6.2013 entschieden. In ihrer Entscheidung, der Klage gegen die Rechtswidrigkeit der Umschließung von fast tausend Demonstrierenden „keine hinreichende Erfolgsaussicht“ einzuräumen, macht das Gericht deutlich, dass es gewillt ist, blind den Darstellungen der Polizei zu folgen.

Sie nimmt Videoaufzeichnungen – vermutlich von der Polizei ausgewählte
Ausschnitte – und das Verlaufsprotokoll der Polizei zum alleinigen Maßstab,
um daraus auf die Unfriedlichkeit dieser großen, bunten Gruppe zu schließen.
Sie konkludiert, die öffentliche Sicherheit der Stadt Frankfurt sei
gefährdet gewesen. Sie folgt blauäugig dem polizeilichen Vortrag, mildere
Mittel seien nicht zu finden gewesen. Die vielen medialen Berichte über die
Ereignisse in Frankfurt, nicht zuletzt von Journalisten, die sich selbst im
Kessel befunden hatten, die vielen Berichte der Bürger und Bürgerinnen, auch
in den Leserbriefen der Zeitungen, der ausführliche Bericht des Komitees für
Grundrechte und Demokratie auf der Grundlage der Demonstrationsbeobachtung
(http://www.grundrechtekomitee.de/node/617), also all die Schilderungen, die
dem Polizeibericht deutlich widersprechen, entgehen dem Scheuklappenblick
des Gerichts.
 
Geradezu zynisch ist es, dieses Vorgehen auch noch mit dem Schutz der
Versammlungsfreiheit der friedlich Demonstrierenden zu begründen, deren
Grundrecht erst durch den Kessel ausgehebelt wurde.
 
Einige Sonnenbrillen, Tücher, Schirme und „Bücher“, die als Schilde
uminterpretiert wurden, deutete die Polizei als Vermummungsgegenstände und
passive Bewaffnung. § 17 Versammlungsgesetz öffnet mit seinen unbestimmten
Rechtsbegriffen einer willkürlichen Interpretation von Gegenständen Tür und
Tor. Schirme werden dann zu Vermummungsgegenständen, durchsichtige
Plastikbrillen zu „Waffen“.  Die inkriminierten Gegenstände sind aber
zumindest im Kontext des Gesamtzusammenhangs zu interpretieren.
Rechtssicherheit darf nicht einfach ausgehebelt werden. Immerhin konnten
viele Demonstrierende unbeanstandet eine Woche später aus Protest gegen das
polizeiliche Vorgehen gegenüber Blockupy genau diese Objekte mitführen. Die
Polizei schritt nicht ein, sondern schützte die Demonstration.
 
Selbst wenn einzelne Straftaten erfolgten, gilt auch für die
Demonstrierenden innerhalb der willkürlich herausgenommenen Gruppe, dass ihr
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht durch eine angebliche „Nähe“ zu
diesen Taten aufgehoben werden darf. Ihnen müssten selbst entsprechende
Taten nachgewiesen werden. Es sei an die Brokdorf-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts erinnert:
 
„Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit
zu rechnen, daß eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder
aufrührerischen Verlauf nimmt (…) oder daß der Veranstalter oder sein Anhang
einen solchen Verlauf anstreben (…) oder zumindest billigen, dann muß für
die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger
garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn
einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen
(…). Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung
und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen,
hätten diese es in der Hand, Demonstrationen ,umzufunktionieren‘ und
entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen
(…); praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich
nahezu immer ,Erkenntnisse‘ über unfriedliche Absichten eines Teiles der
Teilnehmer beibringen lassen.“
 
Die Herauslösung einer ganzen Gruppe von Demonstrierenden hat das
Grundrecht für die gesamte Versammlung ausgehebelt. Es muss
selbstverständlich sein, dass ein Versammlungsbündnis darüber entscheidet,
wer zur Versammlung gehört und welche Bündnisparter aufgenommen werden. Die
Polizei hat nicht aufgrund ihrer auf Vermutungen beruhenden Gefahrenprognose
ganze Gruppen auszuschließen.
 
Richtigerweise folgt das Verwaltungsgericht Frankfurt – entgegen dem
Verwaltungsgerichtshof – der Rechtsauffassung, dass dieser Kessel eine Frage
des Umgangs mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) berührt.
Folglich ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit, nicht das Amtsgericht
zuständig. Die Hoffnung, dass die Verwaltungsgerichte sorgfältiger und
umfassender die Grundlagen der Verfassung in ihre Entscheidungen
einbeziehen, hat das Verwaltungsgericht Frankfurt gründlich enttäuscht.
 

Quelle: http://www.grundrechtekomitee.de/node/624

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Tags: #UeberwachungVersammlungsrecht #Polizei #Polizeikessel #Occupy #Demo #FFM #KlageUrteil #passiveBewaffnung #Geheimdienste #Meinungsfreiheit #Grundrechte
Erstellt: 2014-03-16 08:35:00
Aufrufe: 1806

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