03.04.2019 Zivilgesellschaft stärken - Abgabenordnung ändern!

Der Zivilgesellschaft nicht weiter den Geldhahn zudrehen

Mit Schrecken mussten wir vom Urteil des Bundesfinanzhofs gegen Attac berichten. Der Verein hat seine Gemeinnützigkeit verloren. Gegen andere Vereine wird ebenfalls die Steuerkeule geschwungen.

  • Die Deutsche Umwelthilfe ist bedroht,
  • der VVN-BDA in NRW,
  • Campact stellt vorsichtshalber keine Spendenbescheinigungen mehr aus

Aber Berufsverbände wie der Verband der Automobilindustrie sind steuerbefreit und Beiträge dürfen von der Steuer abgesetzt werden. Das ist ungerecht und schadet der Demokratie. Und das ist nur ein Beispiel, es gibt beliebig viele Vereine und Verbände, die nichts anderes machen als ihren Mitgliedern Vorteile zu verschaffen. Das verstehen wir nicht unter Gemeinnützigkeit!

Mehr Demokratie schreibt uns dazu:

Sehr geehrter Herr Dr. Hammerschmidt,

die Abgabenordnung (AO) regelt in §52, welche Zwecke gemeinnützig sind. Viele Vereine finden ihren Zweck dort nicht wieder: Steuergerechtigkeit, Grundrechte oder Frieden. Dennoch sind diese Vereine gemeinnützig. Denn auch ihre Tätigkeit ist darauf gerichtet, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“ (AO §52 Satz 1)
 
Viele politisch aktive Vereine finden ihren konkreten Zweck allerdings nicht im Gesetz – deshalb wählen sie den Weg über „Bildung“, um als gemeinnützig anerkannt zu werden. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat diesen Weg nun versperrt. Bildung wird eng ausgelegt. Schaut man auf den Wortlaut des Gesetzes, ist das Urteil sogar nachvollziehbar. Fazit: Das Gesetz entspricht nicht mehr der gesellschaftlichen Realität und muss überarbeitet werden.

Deshalb jetzt  den Aufruf unterzeichnen "Zivilgesellschaft stärken"

In den letzten 20 bis 30 Jahren hat sich ein neuer Typ von Vereinen entwickelt. Diese Vereine sind selbstlos tätig und sie sind politisch. Politische Einflussnahme wird vom BFH nicht ausgeschlossen, darf aber nur im Rahmen der ausdrücklich genannten Zwecke stattfinden. Diese Zwecke sind jedoch begrenzt.
 
Damit schadet die Entscheidung des BFH der Demokratie. Denn Vereine wie Attac oder Campact werden in ihren finanziellen Möglichkeiten eingeschränkt. Der Verband der Automobilindustrie ist ein eingetragener Verein und nicht gemeinnützig. Als Berufsverband genießt er aber Sonderrechte, die der Gemeinnützigkeit entsprechen. Das ist unfair!
 
Über 100 Vereine haben sich zur Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung zusammengeschlossen und setzen sich für eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts ein. Die Allianz fordert, dass

  • die Zwecke in §52 AO erweitert werden
  • politische Willensbildung unschädlich für die Gemeinnützigkeit ist (§58).

Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Bundestag und Bundesrat müssen die Abgabenordnung ändern. Vereine sollen sich politisch äußern dürfen, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren. Das Bundesfinanzministerium plant ohnehin eine Änderung der Abgabenordnung. Deshalb wollen wir jetzt Einfluss nehmen und haben gemeinsam einen Aufruf gestartet. Bitte unterstützen Sie uns jetzt dabei!

Herzliche Grüße
Geschäftsführer von Mehr Demokratie e.V.
Beirat Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung

P.S.: Weltweit können wir beobachten, dass die Spielräume zivilgesellschaftlicher Gruppen eingeengt werden (das Schlagwort dafür ist „shrinking spaces“). Wenn ich mir das vor Augen führe, ist Attac kein Einzelfall. Vielmehr ist Attac der Beginn einer Entwicklung. Und allein die Möglichkeit dieser Entwicklung finde ich bedrohlich.

Auch Aktion Freiheit statt Angst e.V. fühlt sich in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, auch wenn unser knappes Budget von unter 2000€ pro Jahr kaum der Steuer anheim fallen würde.


Nachtrag Juli 2019: Bei Attac lesen wir einiges zu den Hintergünden des jahrelangen Rechtsstreits, das möchten wir unseren Lesern nicht vorenthalten:

... Die Richter am Hessischen Finanzgericht sahen das ganz anders: Selbstverstandlich sei das, was Attac betreibe, politische Bildung, und Attac verfolge mit seinem Engagement satzungsgemäße Zwecke. Doch die Freude währte nicht lange.

Auf Drängen des Bundesfinanzministeriums (BFM), das diesen Vorgang auch offiziell bestätigte, legte das Finanzamt Frankfurt Rechtsmittel ein, um den Prozess vor dem Bundesfinanzhof (BFH) fortzuführen. Das Bundesfinanzministerium trat dem Revisionsverfahren offiziell bei; das Schreiben, mit dem das Ministerium diesen Beitritt begründete, stammt von Rolf Mohlenbrock, damals noch Unterabteilungsleiter. Darin argumentiert Mohlenbrock, Attac sei zu politisch engagiert, um als gemeinnützig gelten zu konnen. Insbesondere kritisierte der Ministerialbeamte, die Positionen des Netzwerks seien "näher der Parteipolitik der Opposition als der der Regierungsparteien". Ähnlich begründete BFH-Prasident Mellinghoff das Urteil gegen Attac im Februar dieses Jahres: Zur Gemeinnützigkeit gehöre "nicht die allgemeine politische Beätigung auf allen möglichen Feldern". Attac habe "diesen Rahmen überschritten".

Wer fürchtet, dieses Vorgehen gegen Attac könne politisch motiviert sein, der/dem wird besonders ein Detail unangenehm auffallen: Sowohl Mohlenbrock als auch Mellinghoff sind Teil des sechsköpfigen Vorstands des gemeinnützigen (!) Instituts Finanzen und Steuern. Nun steht es selbstverstandlich auch Staatsbediensteten frei, sich in ihrer Freizeit Projekten zu widmen, die ihnen am Herzen liegen. Doch um welche Herzensangelegenheiten handelt es sich da? Das Institut Finanzen und Steuern ist ein stramm wirtschaftsliberaler Verein. Die Vision seiner Vertreter'innen besteht in der Hauptsache aus der Senkung von Unternehmenssteuern - und steht also damit inhaltlich genau für das Gegenteil dessen, wofür Attac eintritt. Dabei hat es sich das Institut selbst offen zum Ziel gesetzt, die Politik und insbesondere die Gesetzgebung in seinem Sinne zu beeinflussen: Anliegen des Instituts ist es, eine unternehmensfreundliche "bewegliche Steuerpolitik" durchzusetzen. Dafur kommen in Vorstand und Kuratorium des Instituts Wirtschaftsvertreter*innen, Abgeordnete und Finanzpolitiker*innen, Ministerialbeamte, Richter'innen und Wissenschaftler*innen zusammen.

In den Veröffentlichungen des Instituts überwiegen wirtschaftsliberale Positionen, wie sie FDP und CDU vertreten. Dass dieses Institut als gemeinnützig gilt, kann angesichts auch der Leitlinien, die der BFH für das Attac-Urteil ausgegeben hat, nur verwundern. Weder kann seine Geschaftstätigkeit als parteipolitisch neutral durchgehen, noch hält es sich aus dem politischen Alltagsgeschäft heraus - ein Vorwurf, dem Attac im Laufe des Verfahrens häufig ausgesetzt war. Ganz im Gegenteil: Die Beeinflussung von politischen Mehrheitsverhaltnissen gerade bei der Steuergesetzgebung ist erklartes Ziel des Instituts.

Wenn nun also wirtschaftsfreundlicher Lobbyismus als gemeinnützig gilt, die Unterstützung von Menschen dabei, ihre politischen Standpunkte zu formulieren, Forderungen an die Politik zu richten und Protest auf die Straßezu bringen aber nicht, dann ist das nicht nur ein sicheres Indiz dafiir, dass das Gemeinnützigkeitsrecht reformiert werden muss. Es ist auch ein Symptom der realen Krafteverhältnisse, in denen der Raum für kritische Zivilgesellschaft, der Raum fur lebendige und gelebte Demokratie immer welter eingeschränkt wird - zugunsten der Wirtschaftsmacht. Ob Mohlenbrock und Mellinghoff sich jemals ausdrücklich über den Fall Attac und wie er zu behandeln sei miteinander beraten haben, werden wir wohl nie erfahren. Doch das bleibt letzten Endes irrelevant ...

Wie heißt es doch in George Orwells Roman "Farm der Tiere": Alle Tiere sind gleich aber manche sind gleicher.


Mehr dazu und Petition unterschreiben bei https://www.mehr-demokratie.de/aktionen/aufruf-gemeinnuetzigkeit-braucht-einmischung/
und https://www.aktion-freiheitstattangst.org/de/articles/6815-20190307-gemeinwohl-ist-politisch.htm


Kategorie[21]: Unsere Themen in der Presse Short-Link dieser Seite: a-fsa.de/d/32d
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Erstellt: 2019-04-03 14:22:52
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